Generationensolidarität und mehr Normalität für Junge

Die Pandemie dauert an, das Alltagsleben der Menschen aller Altersgruppen bleibt eingeschränkt, und es zeichnen sich inzwischen längerfristige Folgen ab – vor allem für die jüngere Generation. Die unterzeichnenden Organisationen trugen und tragen die Massnahmen des Bundes und der Kantone bisher und weiterhin grundsätzlich mit, wünschen sich aber schon seit Längerem eine differenzierte Diskussion über eine den Altersgruppen entsprechende Bekämpfung der Pandemie. Nun ist aus unserer Sicht der Zeitpunkt dafür gekommen. Ausserdem stehen körperliche Gesundheit sowie medizinische und epidemiologische Folgen und Gegenmassnahmen zu stark im Fokus. Die psychische und soziale Dimension der Pandemie und ihre Folgen müssen mehr Aufmerksamkeit und Gewicht erhalten.

Ausgangslage

Die gesamte Bevölkerung (ab 5 Jahren), insbesondere Risikopersonen und gefährdete Altersgruppen, haben nun mit der Impfung die Möglichkeit sich zu schützen. Einschränkungen für junge Menschen zum Schutz anderer Altersgruppen sind daher nicht mehr gerechtfertigt.

 

Finanziell und was ihre Zukunftsperspektiven anbelangt, ist die ältere Generation weder akut noch längerfristig von der Krise schwerwiegend betroffen. Anders die Jungen, von denen zahlreiche Mühe haben eine Lehrstelle oder einen Ausbildungsplatz zu finden oder ihr Studium anzutreten. Sie werden, nebst den gesundheitlichen und sozialen, auch die wirtschaftlichen Folgen der Pandemiebekämpfung in der nahen Zukunft am meisten zu tragen haben.

 

Aus Sicht des Schweizerischen Seniorenrats (SSR), des Dachverbands Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz (DOJ), Pro Juventute, Pro Mente Sana, SAJV, UNICEF Schweiz und Liechtenstein sowie dem Verband PETZI ist nun der Moment für eine Wende gekommen – um weiteren und gravierenden negativen Folgen für die einzelnen jungen Menschen aber auch den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft und die Demokratie der Schweiz vorzubeugen.

 

Wo der Schuh drückt 

Psychische Gesundheit

Die Pandemie und deren Bekämpfung verschlechtern die psychische Gesundheit bereits belasteter und benachteiligter Menschen aller Altersgruppen, besonders aber der jungen Menschen. Die Zahl der 14- bis 24-Jährigen mit schweren Symptomen einer Depression hat sich von rund 7% vor der Pandemie auf rund 30% vervierfacht (vgl. Corona Report Update von Pro Juventute). Die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste waren schon vor der Pandemie überlastet und müssen ausgebaut werden. Kurzfristig brauchen belastete junge Menschen aber vor allem und nun rasch niederschwellige Beratung, Hilfe, Prävention und Gesundheitsförderung.

 

Altersgruppen haben unterschiedliche Bedürfnisse

Zurzeit gelten für alle Menschen ab 16 Jahren die gleichen Massnahmen und Regeln, trotz unterschiedlicher Lebensphasen und damit verbundener Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben. Daher belasten die Massnahmen die Generationen auch unterschiedlich, in Art und Schweregrad. Der besonders hohe Leidensdruck bei jungen Menschen wird von den Behörden zwar anerkannt, ihre spezifischen Bedürfnisse und Leiden werden aber bei der Gestaltung der Massnahmen nicht genügend berücksichtigt. Dies gilt ebenfalls für die Senior*innen.

 

Solidarität bisher nicht ausgeglichen

Die junge Generation war seit Anfang der Pandemie verständnisvoll und ausgesprochen solidarisch im Sinne der Rücksichtnahme und Hilfe für ältere Menschen und Risikopersonen. Trotz wissenschaftlicher Erkenntnis, dass junge Menschen eine deutlich geringere Krankheitslast haben und selten schwer erkranken, gelten für sie dieselben Massnahmen wie für ältere, gefährdete Menschen. Solidarisch ertragen junge Menschen diese sie belastenden Einschränkungen zum Schutz von anderen. Im Gegenzug haben sie bisher wenig Solidarität im Sinne von Berücksichtigung ihrer Anliegen und Entwicklungsbedürfnisse erhalten. Zwei Jahre Pandemie machen einen beträchtlichen Teil ihrer Lebenszeit aus. Sie benötigen dringender als andere Altersgruppen möglichst bald wieder mehr Normalität.

 

Handlungsbedarf

Wiederherstellen einer stabilisierenden «Normalität» für junge Menschen

Damit kann sozialen, körperlichen und psychischen Problemen sowie Schwierigkeiten bei Berufswahl und -eintritt vorgebeugt werden. Bei Lockerungsschritten sind die spezifischen Bedürfnisse der jungen Menschen nun stärker zu gewichten.

 

Nach Altersgruppen differenzierte Massnahmen

Die Massnahmen sollen an den altersspezifischen Bedürfnissen und besonderen, sensiblen Lebensbereichen der Senior*innen einerseits und der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 16 und 25 Jahren andererseits ausgerichtet und entsprechend differenziert ausgestaltet werden.

 

Spaltung und Entfremdung zwischen den Generationen vermeiden

Weder die Senior*innen noch die jungen Menschen sollen sich als Sündenböcke und Verlierer*innen der Pandemie fühlen oder gar Ressentiments gegen andere Altersgruppen entwickeln. Einer Spaltung und deren weitreichenden, langfristigen Folgen gilt es nun entgegenzuwirken.

 

Gesundheit umfassend betrachten und fördern

Was die Auswirkungen der Pandemie, respektive der Massnahmen zur Eindämmung anbelangt, sollen deren Folgen dringend differenziert betrachtet werden. Zahlreiche Menschen, besonders junge, leiden vermehrt an psychischen Problemen. Auch körperlich Auswirkungen sind wahrscheinlich, etwa aufgrund von Bewegungsmangel.

 

Unsere Grundhaltung

Die gemeinsame Bewältigung der aktuellen Krise soll den solidarischen Zusammenhalt und das gegenseitige Verantwortungsgefühl zwischen den Generationen stärken – auf beiden Seiten, für beide Seiten!

 

Die junge Generation hat viel mitgetragen und geleistet in der bisherigen Bewältigung der Corona-Krise. Nun kann sich jede*r schützen, und es ist der Zeitpunkt gekommen die jungen Menschen zu entlasten.

 

Junge Menschen sollen sich gesund entwickeln können – trotz Pandemie. Als Gesamtgesellschaft anerkennen wir ihre spezifischen Bedürfnisse und ermöglichen ihnen solidarisch möglichst grosse «Normalität».

 

Konkrete Ansatzpunkte und Forderungen

Barrierefreier Zugang zu begleiteten Freizeitaktivitäten

Angesichts der sich stabilisierenden epidemiologischen Lage und der teils gravierenden Folgen für junge Menschen muss der Zugang zu begleiteten Freizeitangeboten für junge Menschen bis 25 Jahren ohne Einschränkung des Zutritts (Zertifikat) für alle möglich sein. Dabei handelt es sich nicht um vergnüglichen Luxus, sondern um wichtige Möglichkeiten der Bildung und der gesunden Entwicklung und Entfaltung junger Menschen. Dies umfasst namentlich die Bereiche sportliche und kulturelle Aktivitäten sowie verbandliche und Offene Kinder- und Jugendarbeit.

 

Bildung und Berufseintritt

Die Bildungsinstitutionen müssen offenbleiben und die Schutzmassnahmen verhältnismässig gestaltet und so begrenzt wie möglich gehalten werden. Weiterführende Schulen und Möglichkeiten der Berufsfindung (z. B. Schnupperstellen, Praktika usw.) müssen möglichst uneingeschränkt zugänglich sein. Da zurzeit mehr Jugendliche Mühe haben mit Berufswahl und –übertritt, brauchen sie freien Zugang zu niederschwelligen Beratungs- und Unterstützungsangeboten, etwa in Jugendtreffs.

 

Psychische Gesundheit der Jugend stärken

Epidemien- und Covid-Gesetz bieten die Möglichkeit, rasch Mittel zur Verfügung zu stellen, um die psychischen Folgen der Pandemie aufzufangen und weiteren Erkrankungen vorzubeugen. Dieses Geld sollte auch in den Ausbau der überlasteten ambulanten und stationären Angebote fliessen, vor allem aber in niederschwellige Gesundheitsförderung, Prävention, Beratung und Unterstützung.

 

Freie Bewegung und Selbstbestimmung der Senior*innen

Senior*innen müssen sich frei bewegen können. Menschen in Alters- und Pflegeheimen dürfen nicht eingeschlossen werden und sollen Besuche empfangen können. Senior*innen dürfen nicht vereinsamen. Nicht nur ihrer körperlichen Gesundheit, sondern auch ihrer psychischen muss Beachtung geschenkt werden.