Armut im Alter

Um die Existenz und die Ausbreitung der Altersarmut zu vermeiden, dürfen in erster Linie die Kaufkraft der AHV-Renten und der AHV-Rentner sowie die Finanzierung der AHV nicht reduziert werden.

Der vorliegende Text ist eine Antwort auf die dem Thema Armut und Alter gewidmeten 9 Seiten im Bericht des Bundesrats vom 31.03.2010 mit dem Titel „Gesamtschweizerische Strategie zur Armutsbekämpfung“.

1.  Verstärkung des Kampfs gegen die wachsende Altersarmut

Selbst wenn, wie der Bundesrat behauptet, ‘die Altersarmut seit der Einführung der AHV stark zurückgegangen ist’, wenngleich die Armut bei den jungen und älteren Erwerbstätigen immer beunruhigendere Ausmasse annimmt und, wie ebenfalls im Bericht gesagt, „deshalb Massnahmen zur Bekämpfung von Armut während des gesamten Lebenslaufs“ entsprechend wichtig sind, beseitigt dies bei weitem nicht die Altersarmut, zumal deren Tendenz sehr wohl steigen könnte, wie ebenfalls aus dem Bericht hervorgeht: „Die mögliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der künftigen Rentnerinnen und Rentner wird auch international seit längerem diskutiert." Es besteht zunehmend Gefahr, dass Erwerbstätige oder Rentner mit schwachem oder mittlerem Einkommen durch ein unerwartetes Ereignis von heute auf morgen in die Armutsfalle stürzen (Kündigung, schwerwiegende gesundheitliche Probleme, Scheidung, Umzug,…). Im Bericht des Bundesrats heisst es: „Mit Blick auf die zukünftige Entwicklung von Altersarmut in der Schweiz ist auch die stärkere Armutsbetroffenheit der ausländischen Bevölkerung relevant. Migranten und Migrantinnen, die in den 60er- und 70er-Jahren in die Schweiz einwanderten, erreichen nämlich mehr und mehr das Rentenalter. Die Zahl und der Anteil ausländischer AHV-Rentnerinnen und Rentner werden in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Aufgrund der Einkommenslage dieser Bevölkerungsgruppen ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren auch die Zahl einkommensschwacher, auf EL angewiesener ausländischer AHV-Rentnerinnen und -Rentner zunehmen wird.“ Der Rückgriff auf unentgeltliche Pflege seitens naher Angehöriger wird aufgrund der wachsenden Zersplitterung der Familien (bedingt durch geographische Distanz und/oder privates Auseinanderleben) und der beruflichen und privaten Belastung der jüngeren Generationen zu einer rein hypothetischen Lösung.

Um die Existenz und die Ausbreitung der Altersarmut zu vermeiden, dürfen in erster Linie die Kaufkraft der AHV-Renten und der AHV-Rentner sowie die Finanzierung der AHV nicht reduziert werden. Dies umfasst mindestens die regelmässige Indexierung der AHV-Renten nach dem gemischten Index, die Aufrechterhaltung des Beitrags des Bundes auf mindestens der gegenwärtigen Höhe von 19,55% der jährlichen Ausgaben der AHV, die Beendigung und Vermeidung der Diskriminierung von Senioren (beispielsweise im Hinblick auf die Besteuerung von verheirateten Paaren, die höheren Krankenversicherungs-beiträge für Senioren oder die Sonderbeiträge zur Finanzierung der Altenpflege, usw.).

2.  Hin zu einer wirklich globalen Strategie des Bundes in Bezug auf die Qualität der Gesundheitsversorgung für ältere Menschen.

Der Bericht gilt eher als eine auf zahlreiche Studien gegründete Bestandsaufnahme denn als Vorschlag für eine globale Strategie seitens des Bundes. Gewiss enthält er darüber hinaus bestimmte Überlegungen, die als Empfehlungen für die Zukunft dienen und an die wir uns halten können, wie beispielsweise: „Die Kantone sollten daher für alle Heime einheitliche Minimalstandards für die Qualität der Pflege festlegen" oder „…ältere Menschen sollten in der Schweiz unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen das Recht auf ein ihrer Selbstständigkeit angemessenes Wohnen haben". Doch statt eine koordiniertere und seitens des Bundes besser eingegrenzte globale Strategie ins Leben zu rufen, sucht man zu häufig Zuflucht hinter der neuen Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden, um sich gespaltenen Strategien zu unterwerfen, die mit den Ergänzungsleistungen und der Sozialhilfe dem guten Willen und der Verantwortung der Kantone und Gemeinden überlassen sind.

3.  Der Bund muss sich stärker für die Steuerung der Ergänzungsleistungen einsetzen, darunter für die Festsetzung der Bundesnormen.

Der Bund kann und muss durch die Festsetzung der Bundesnormen in Bezug auf zahlreiche Fragen hinsichtlich der Rechte der Senioren in schwierigen gesundheitlichen und/oder finanziellen Situationen in starkem Masse zu einer globalen Strategie beitragen, insbesondere in Bezug auf den Zugang zu Pflegeleistungen, zu einer angemessenen Wohnung und zu hochwertigen persönlichen und sozialen Lebensbedingungen. Dies gilt insbesondere für die Festsetzung der Bundesnormen in Bezug auf den Erhalt von Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV, solange die AHV-Renten ihrem Verfassungsauftrag nicht gerecht werden. Der Bund war diesbezüglich bereits tätig, wie beispielsweise durch die Abschaffung der Obergrenze für die Beträge der Ergänzungsleistungen für Senioren, die in Heimen untergebracht werden müssen.
Er muss sich jedoch noch stärker für die wirkliche Steuerung der Anpassung des Systems der Ergänzungsleistungen an die gegenwärtigen Umstände einsetzen. Einige Beispiele: Erhöhung des Maximalbetrags für die Mietkosten (der seit 2001 nicht mehr erhöht wurde !); bessere Anpassung des Betrags, der den Existenzbedarf decken muss, damit die Senioren den Kontakt zum modernen Leben und seinen Technologien nicht verlieren; Steigerung und Verbesserung der direkten bzw. automatischen Information der Senioren, die nach Massgabe der Behörden Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben könnten; Schaffung von Anreizen für ein vielfältigeres Angebot an erschwinglichen Wohnungen für Senioren nach Massgabe ihrer gesundheitsbedingten Bedürfnisse (geeignete Wohnungen, betreutes Wohnen, …) usw. Der Bund muss sich auch stärker für die Abschaffung der Schwelleneffekte einsetzen. Er darf die neue Aufgabenverteilung zwischen ihm und den Kantonen und Gemeinden nicht als Alibi für die Nichterfüllung der Aufgaben im Hinblick auf die Steuerung der Ergänzungsleistungen verwenden.

4.  Und schliesslich die schrittweise Einhaltung des Verfassungsauftrags der AHV-Renten: Die angemessene Deckung des Existenzbedarfs.

Selbst wenn der Bundesrat am Anfang seines Berichts behauptet: „Seit Einführung der AHV hat die Altersarmut stark abgenommen", obwohl die Armut bei den jungen und älteren Erwerbstätigen immer beunruhigendere Ausmasse annimmt und, wie ebenfalls im Bericht gesagt, „deshalb Massnahmen zur Bekämpfung von Armut während des gesamten Lebenslaufs“ entsprechend wichtig sind, wird damit die Armut im Alter bei weitem nicht beseitigt, zumal deren Tendenz sehr wohl steigen könnte, wie ebenfalls aus dem Bericht hervorgeht (siehe obige Ziff. 1). Der 2. Satz dieses Teils des Berichts ist jedoch sehr strittig: „Dank des Drei-Säulen-Prinzips ist eine angemessene Existenzsicherung in aller Regel auch nach der Pensionierung gewährleistet." Dies bedeutet das bewusste Ausserachtlassen der Tatsache, dass die angemessene Deckung des Existenzminimums nach Massgabe der Verfassung ausschliesslich durch die AHV-Rente erfolgen muss, ohne Rückgriff auf die Renten der 2. und der 3. Säule. Die Renten aus den Ergänzungsleistungen müssen die Unzulänglichkeiten der AHV-Renten im Hinblick auf die Erfüllung ihres Verfassungsauftrags ersatzweise und lediglich vorübergehend, wenngleich auch effektiv (siehe obige Ziff. 2) kompensieren.

Diese schrittweise Umsetzung des Verfassungsauftrags ist der zuverlässige und unverkennbare Garant für die Reduzierung der Altersarmut. Sie muss durch eine bessere Verteilung der Produktivitätssteigerungen der Wirtschaft unter den Arbeitnehmern ermöglicht werden, durch die Ausdehnung der AHV-Beitragserhebung auf sämtliche Einkünfte (auf die verschiedenen Leistungszulagen seitens des Unternehmens, auf die Kapitalerträge und Finanztransaktionen …), sowie durch die Erhöhung des Beitrags des Bundes. Die für diese Umsetzung erforderlichen Kosten werden dabei zum Teil durch die Senkung der Kosten der Ergänzungsleistungen und der Sozialhilfe ausgeglichen.